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Wie ist er, der Andalusier?


Romeria

In der Vorstellung der Europäer erscheint Andalusien als der äußerste und damit exotischste Süden ihres Kontinents. Dazu paßt dann das Bild von der Heimat der Toreros, der Flamencosänger, der Zigeuner und der dunklen schwarzäugigen, kastagnettenklappernden Tänzerinnen, Witwen in schwarzer Trauerkleidung und spontan Sevillanas tanzende Mädchen. Doch Andalusien läuft immer noch Gefahr, zum Opfer seiner Klischees zu werden, die den Blick versperren auf die Wirklichkeit. Die spanische Wirtschaftskraft wuchs rasch - und am schnellsten in Andalusien. Allerdings gab es hier auch am meisten aufzuholen. Inzwischen geht es den meisten Andalusiern besser, wenn auch noch nicht gut.


Frauen

Die Andalusier seien lebensfroh und witzig, doch vor allem von unermeßlicher Geduld, heißt es. Hinter der äußerlichen Heiterkeit jedoch verberge sich eine tiefe Traurigkeit, so etwas wie eine lebenslange kontinuierliche Melancholie. Sie zeige sich in stoischer Ruhe und in fatalistischer Hinnahme oft schlimmer Schicksale. Doch die Andalusier haben keineswegs immer alles brav und resigniert ertragen, häufig sind sie gegen Willkür, Ungerechtigkeit und Fremdherrschaft aufgestanden. Aber fanatisch wurden sie dabei nicht, sondern blieben allem Fremden gegenüber aufgeschlossen, und wahrscheinlich gibt es keine toleranteren Spanier. Sie haben von den Völkern, die sie eroberten, von Phöniziern, Römern, Germanen, Arabern und Kastiliern vieles übernommen, und ganz gewiß nicht das Schlechteste.


Die manchmal recht blumigen Lobredner Andalusiens meinen zu wissen, wer was zurückgelassen hat: Die Beweglichkeit und Anmut hätten die Tartessier den Andalusiern gegeben; den Römern verdanken sie ihren Sinn für klare Linienführung und die Ästhetik der Einfachheit; von den Arabern erbten sie Leidenschaft und Empfindsamkeit; Scharfsinn steuerten die Juden bei, und die Kastilier brachten ihre erprobte Tapferkeit und ihr hochentwickeltes Ehrgefühl mit. Zu Vandalen und Germanen ist den wohlwollenden Interpreten des andalusischen Volkscharakters offenbar nichts eingefallen - allenfalls negative Züge, die Andalusier vielleicht haben mögen, die jedoch nicht unbedingt erwähnt werden müssen.


Männer

Besucher Andalusiens sind meist überrascht, wenn sie in Straßencafés kleiner Städte oder an Theken von Aperitifbars mit einem Glas Vino Fino in der Hand bescheiden wirkende Menschen treffen, die im Gespräch nach und nach und eigentlich ganz nebenbei genaue und profunde Kenntnisse der entlegensten Dinge und längst vergangener Zeiten verraten. Es gibt eine gar nicht so kleine Zahl Andalusier, für die Bildung, frei von Nutzeffekten, dilettantisch im besten Sinne des Wortes erworben, als Liebhaberei gehandhabt und als Steckenpferd spielerisch dargeboten wird. Andalusien sei Heimat der Dichter und Analphabeten - ein Klischee gewiß, an dem aber einiges wahr ist und das kein Widerspruch in sich zu sein braucht.


(Quelle: Merian Dez. 1990)



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